Des Kaisers neue Kleider

Rechtsanwalt Andreas Bludau, Günter Heumann-Storp (Recherche und Bilder) • Nov. 19, 2020

Des Kaisers neue Kleider

Mehr als nur ein Anwalt
Motorradfahrer, Rechtsanwalt, Spezialist für „Bikerrecht“

Andreas Bludau
berichtet bei MopedTravel regelmäßig über Interessantes aus der Rechtsprechung. Als Rechtsanwalt und Motorradfahrer hat er sich auf Fälle spezialisiert, die gerade Motorradfahrer betreffen. Im Gespräch werden mit ihm Rechts- und Sachfragen diskutiert und erläutert.
Wir beleuchten aber auch das Umfeld der Rechtsfragen. Worum geht es allgemein? Welche Vorgaben gibt es?

Des Kaisers neue Kleider


Im Januar diesen Jahres war es bereits in den Motorradpresse zu lesen. Es gibt neue Standards bei der Zertifizierung von Motorradbekleidung. Die neue EN Norm 17092-2 ist wesentlich differenzierter als die bis dahin geltende CE-Norm und bietet dem Kunden mehr Klarheit, für welchen Nutzungsbereich Abriebwerte nun ausreichen und für welchen nicht. Salopp formuliert: Die niedrigste Klassifizierung, jetzt Klasse A, bietet zwar möglicherweise den besten Tragekomfort, aber auch den geringsten Schutz. In insgesamt fünf Stufen teilt sich die neue Klassifizierung auf. AAA, AA, A, B und C heißen die Bezeichnungen, die das Maß der Dinge umreißen. C steht für Aufprallschutz, B für Abriebschutz und A für beides zusammen, jeweils gesteigert bis dreifach A. 


Der Kronkorken reicht

Jetzt könnte man sagen, dass das in Deutschland niemanden interessiert. Die Qualität der Schutzbekleidung ist nicht vorgeschrieben. Noch nicht einmal mehr für den Helm muss eine ECE Kennung beachtet werden. Ein Kronkorken mit Visier auf dem Kopf ist doch gut. Und bei der Kleidung reicht es aus, wenn die Protektoren die EU-Norm 1621-1 oder -2 tragen, soweit überhaupt vorhanden. Welch ein Luxus und welch eine Selbstverachtung im Fahrbetrieb. 


Im Ausland gut behütet…

Der Luxus der Selbstverachtung hat allerdings Grenzen, wenn man ins Ausland fährt. In allen anderen Ländern der EU ist beim Helm die ECE-22 Norm vorgeschrieben. Für Reisende bietet sich also auch abseits des Sicherheitsgedankens an, nur einen Helm mit einer solchen Kennung zu tragen. 


und schlecht bekleidet

In Sachen der übrigen Schutzkleidung ist sich die EU fast einig. Es gibt nur wenige, einschränkende Vorschriften. In Frankreich reduziert sich die Normierung der Kleidung auf die Vorschrift, dass dort - neben an den Helm in bestimmter Art anzubringender Reflektoren - die Handschuhe eine CE-Kennung zu tragen haben. 

Und in Belgien müssen Handschuhe, langärmelige Jacke und lange Hose getragen werden, neben den gleichfalls vorgeschriebenen Stiefeln oder Stiefeletten, die über den Knöchel reichen müssen. Das ist nicht viel, aber immerhin etwas. Turnschuhe und T-Shirt sind also verboten, eine Erkenntnis, auf die man auch ohne Vorschriften kommen könnte, oder? 

In allen anderen Staaten erlaubt sich der Gesetzgeber, was Kombis und Co. angeht, denselben Luxus wie in Deutschland. Alles kann, nichts muss. 


Für Händler vorgeschrieben

Für Händler sieht das schon anders aus. Sie dürfen in Deutschland nur noch Produkte anbieten, die der neuen EU Norm 17092-2 entsprechen. Damit unterwerfen sie sich einem differenzierten Test- und Zertifizierungsverfahren, das natürlich seinen Preis hat. Zum Wohle des Kunden, den es aber nicht zu interessieren braucht. Oder doch?


Im Falle eines Falles

Was passiert bei einem Unfall? In den meisten Fällen geht der nicht ohne Verletzungen ab, schon gar nicht, wenn keine ausreichende Schutzkleidung getragen wird. Kann sich die Krankenversicherungen bei den entstandenen Kosten am Grad der Verletzung reiben, wenn keine Schutzkleidung getragen wurde? Wie verhält sich die Versicherung des Unfallgegners, wenn sie mehr zahlen soll, als sie das bei ausreichendem Schutz müsste?


Rechtsanwalt Andreas Bludau:

„Es gibt immer wieder Streit mit Haftpflichtversicherern bei Fragen der Schutzkleidung.“

Darum geht es im folgenden Gespräch mit unserem Anwalt.


Schutzkleidung kaputt und nun?


MopedTravel:
Andreas, als Motorrad fahrender Rechtsanwalt und Spezialist für Rechtsfragen rund um das Motorradfahren kannst Du uns zu diesem Thema einiges sagen. 


Andreas Bludau:

Cooles Aussehen oder in der sommerlichen Hitze cool bleiben sind oft die Argumente für das Nichttragen von Schutzkleidung bei Motorradfahrern.

Es stellt sich dann die Frage, ob ein Mitverschulden bei einer Verletzung, welche mit Schutzkleidung glimpflicher ausgefallen wäre, anzurechnen ist und damit Ansprüche bei einem Unfall von der gegnerischen Kfz-Haftpflichtversicherung gekürzt werden können.


MopedTravel: 

Die Problematik dürfte differenziert zu betrachten sein. Das Tragen eines Helms ist in Deutschland vorgeschrieben. Über die übrige Schutzbekleidung gibt es keine Vorschriften. 


Andreas Bludau:

Das stimmt, Ausgangspunkt ist zunächst, dass das Tragen eines Motorradhelms gesetzlich vorgeschrieben ist und damit bei Kopfverletzungen stets zu einer Mithaftung und damit zu Abzügen bei der Erstattung von Schmerzensgeld, Erwerbsausfall und ähnlichem führt. Mindestens 30 % vom Schadensersatz und Schmerzensgeld werden gekürzt. 


MopedTravel:

Das Problem liegt dann wohl eher bei der Schutzbekleidung abseits des Helms.


Andreas Bludau:

Der Bundesgerichtshof hat zu dem Thema, inwieweit fehlende Schutzkleidung zu einem Mitverschulden führt, bis heute noch keine Entscheidung gefällt. Die Entscheidungen der erstinstanzlichen und zweitinstanzlichen Gerichte sind teilweise unterschiedlich.


MopedTravel:

Was ist dann die grundsätzliche rechtliche Basis der Entscheidungen, von der die Gerichte ausgehen?


Andreas Bludau:

Rechtlicher Ausgangspunkt ist, ob das Nichttragen der Schutzkleidung ein Verschulden gegen sich selbst darstellt. Hierzu ein Gerichtsurteil aus Brandenburg:

Ein ordentlicher und verständiger Mensch würde Schutzkleidung tragen, um Verletzungen zu vermeiden. Deshalb sei es sachgerecht, bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ein Verschulden gegen sich selbst zu berücksichtigen. So hat es das Brandenburgische OLG, Urteil v. 23.07.2009, 12 U 29/09, gesehen.


MopedTravel:

Das klingt nachvollziehbar, allerdings gibt es keine Verpflichtung zum Tragen von Schutzkleidung.


Andreas Bludau:

Es gibt ja auch andere Stimmen. Das LG Frankfurt a. M. hat entschieden, sich der Fahrer einer Harley Davidson nach einer Sturzverletzung am Knie kein Mitverschulden anrechnen lassen muss, wenn er bei dem Unfall keine Schutzkleidung an den Beinen, sondern nur eine Armee-Stoffhose getragen hat (7.6.18, 2 ‒ 015 118/17).


MopedTravel:

Ein Wechselbad der Entscheidungen?


Andreas Bludau:

In einem älteren Urteil hatte das OLG Düsseldorf noch über die Hintertür eine Kürzung der Ansprüche bei Nichttragen von Schutzkleidung eingeführt. Es vertrat die Ansicht, dass selbst wenn man ein Mitverschulden ablehnen würde, das Schmerzensgeld unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit gekürzt werden kann (OLG Düsseldorf I-1 U 137/05).

Zwischenzeitlich kam das OLG Düsseldorf in einer neueren Entscheidung zu dem Ergebnis, dass fehlende Schutzkleidung wie Motorradjacke, -hose und -handschuhe, dem Verletzten nicht als Verschulden gegen sich selbst anzulasten ist. Das gelte auch, wenn dies Auswirkungen bei einem Personenschaden hat. 

Das OLG Düsseldorf (24.9.19, 1 U 82/18) begründete seine Entscheidung damit, dass es keine gesetzliche Pflicht gebe, Schutzkleidung zu tragen. Nach der einzigen gesetzlichen Regelung müsse ein Motorradfahrer lediglich einen geeigneten Schutzhelm während der Fahrt tragen.


MopedTravel:

Wenn man auf die Daten der Urteile sieht, scheint es so, als ob die neueren Entscheidungen sich mehr an der reinen Tatsache einer vorhandenen oder nicht vorhandenen Verpflichtung orientieren. 


Andreas Bludau:

Das sieht so aus. Allerdings kann man sich darauf nicht verlassen, solange der BGH keine einheitliche Linie vorgegeben hat. Man kann sehr wohl auch mehr auf das allgemeine Verkehrsbewusstsein abstellen und dann zu differenzierter Sichtweise kommen.  

Das OLG München hat mit Endurteil vom 19.05.2017 – 10 U 4256/16- entschieden, dass ein Leichtkraftradfahrer innerorts nicht gezwungen ist, Motorradstiefel zu tragen. Im Falle eines Unfalls sei kein Mitverschulden bei Verletzungen an den Füßen gegeben. Die Ansprüche des Leichtkraftradfahrers konnten also nicht durch die gegnerische Versicherung gekürzt werden. 

Das OLG führt aus: Ein allgemeines Verkehrsbewusstsein, nach dem es für Leichtkraftradfahrer innerhalb geschlossener Ortschaften erforderlich ist, Motorradstiefel zu tragen, kann


nicht festgestellt werden. Den Fahrer eines Leichtkraftrades trifft deshalb keine generelle, ein Mitverschulden begründende Obliegenheit, innerhalb geschlossener Ortschaften Motorradstiefel zu tragen.

OLG Nürnberg hatte schon 2013, wenn keine Motorradstiefel getragen werden, ein Mitverschulden generell verneint. In dem Fall musste einem Motorradfahrer der Fuß amputiert werden. Auch er trug Sportschuhe.

Im Urteil des OLG München von 19.5.2017 – 10 U 4256/16- wird allerdings klar, dass hier eine Rechtsklarheit noch nicht gegeben ist. Es werden diverse Urteile von anderen Oberlandesgerichten zitiert, die zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen und teilweise auch das Nichttragen von Motorradstiefeln betrafen.


MopedTravel: 

Es bleibt also in dieser Rechtsangelegenheit schwierig.


Andreas Bludau:

Solange es keine eindeutige Leitlinie gibt, ist das so. Zum Abschluss noch ein Zitat aus meiner Lieblingsentscheidung zu dem Thema. 

So gab das LG Heidelberg, Urteil vom 13.3.2014, 2 O 203/13, folgendes zum Besten: „Das Gericht hält es aber für unzumutbar, einem Leichtkraftradfahrer (hier: Rollerfahrer) gegenwärtig die Obliegenheit aufzuerlegen, bei Innerortsfahrten einen Schutzkombi zu tragen. Er würde Gefahr laufen, spöttische Bemerkungen wegen seines ungewöhnlichen Kleidungsstils zu erhalten. Insofern unterscheiden sich Leichtkraftradfahrer von Motorradfahrern.“


Kanzlei Andreas Bludau

kanzleibludau@law-on-2wheels.de

oder unter der Telefonnummer

0911- 440078


von Günter Heumann-Storp 18 März, 2024
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